Retro Review
Coverscan
© Sony Computer Entertainment

The Last Guy

Der Downloadtitel The Last Guy von Sonys Japan Studio kombiniert zwei Dinge, deren Verbindung zunächst überhaupt nicht sinnvoll erscheint, die – zumindest in Videospielform – aber sehr gut zusammenpassen: Luftaufnahmen von Großstädten und Zombies. Die Invasion ließ lediglich einen letzten Helden der United Rescue Force (U.R.F.) übrig, der nun zahlreiche Zivilisten vor den umherwandelnden Monstern in Sicherheit bringen soll. Man navigiert den namensgebenden Helden in der Draufsicht durch enge Straßenschluchten und über große Plätze bekannter Großstädte wie Tokio, Berlin, London oder Sydney. Die Vorgaben für jede der 15 Missionen sind ein Zeitlimit und eine bestimmte Anzahl an Zivilisten, die innerhalb des Zeitlimits in eine oder mehrere Rettungszonen gebracht werden müssen.

Spielerisch ergibt das eine Mischung aus Pikmin, Lemmings und Pac-Man. Da als Schauplätze zentrale Teile der jeweiligen Großstadt gewählt wurden, gestaltet sich die Spielumgebung oft labyrinthartig mit in den Gängen patrouillierenden Gegnern. Man ist jedoch nur zum Start jeder Mission alleine unterwegs. Sind schließlich die ersten Zivilisten aus Ihren Häusern geholt, folgen sie dem Helden in einer mehr oder weniger geordneten Schlange und müssen damit ebenfalls vor Angriffen beschützt werden. Dabei können sie indirekt gesteuert werden, indem sie sich per Druck auf 'Kreis' in der Nähe des Helden sammeln. 'Dreieck' beschleunigt den Helden – beide Kommandos lassen sich auch kombinieren. Jedoch sollte dabei immer die Stamina-Leiste im Auge behalten werden, da beide Aktionen diese schrumpfen lassen und somit nicht beliebig lange verfügbar sind. Ein drittes Kommando ist das jederzeit aktivierbare Wärmebild, das zwar anzeigt, wie viele Zivilisten sich wo aufhalten und dabei nicht einmal Stamina verbraucht, jedoch gleichzeitig die Gegner ausblendet. Dieser insgesamt simple Aktionsumfang reicht aus, um aus The Last Guy ein spannendes und süchtig machendes Spiel zu machen.

Das Spielprinzip stützt sich nicht ausschließlich auf Reaktionstests, sondern streut auch etwas Taktik und sogar eine Prise Metal Gear mit ein. Vor Beginn jeder Mission verschafft man sich einen Überblick über den gesamten Luftbildausschnitt, in dem die Mission stattfinden wird. Neben Gegnern und zu rettenden Zivilisten sind dort auch Gegenstände platziert, die beim Einsammeln die Stamina-Leiste wiederauffüllen, den Helden kurzzeitig unsichtbar machen, Gegner vorübergehend einfrieren oder gar einen Teleport zurück zur Rettungszone erlauben. Da sowohl die Gegenstände als auch die Gegner nicht bei jedem Neustart gleich platziert sind, lohnt es sich nur bedingt, jede Mission auswendig zu lernen. Vielmehr geht es darum, die Grundprinzipien der jeweiligen Mission zu verinnerlichen und entsprechende Taktiken situativ anzuwenden. Verschiedene Gegnertypen und die jeweiligen räumlichen Bedingungen jeder Stadt sorgen dafür, dass sich die einzelnen Mission sehr unterschiedlich spielen. Während sich in Sydney die meisten Zivilisten im Opernhaus und in Newcastle im Fußballstadion aufhalten, flüchten sie in einem Stockholmer Wohnviertel zunächst in die Innenhöfe ihrer Häuserblocks und wollen daraus gerettet werden. In manchen Städten sind die Straßen von gegnerischen Monstern überlaufen, in anderen sind sie nur an zentralen Stellen platziert und wollen nicht umgangen, sondern gezielt weggelockt werden. Bestimmten Gegnern kann ausgewichen werden, indem man sich von ihrer Blickrichtung wegbewegt, andere sind ziemlich kurzsichtig und erkennen in schattigen Ecken überhaupt nichts. Somit ergibt sich eine abwechslungsreiche Mischung aus vorsichtigem Verstecken und schnellem Flüchten, um alle Zivilisten unbeschadet zu retten.

Eine Besonderheit sind die vier wichtigen Personen, die in jeder Mission versteckt sind. Da diese sich erst zu erkennen geben, wenn sie entdeckt werden, muss die gesamte Karte nach ihnen abgesucht werden. Die Belohnung dafür sind nicht nur witzige Hintergrundinformationen zu jeder wichtigen Person, sondern auch jeweils 50 Punkte, die zum Punktestand jeder Mission dazugezählt werden. Hinzu kommt ein Punkt pro gerettetem regulärem Zivilist sowie Punkte in Höhe der maximalen Anzahl an Zivilisten, die gleichzeitig gerettet wurden. Mit vielen Zivilisten auf einmal unterwegs zu sein, ist in manchen Missionen unmöglich, in anderen unumgänglich, da nur so bestimmte Barrieren beseitigt werden können oder die Stamina-Leiste sich auf eine benötigte Länge erweitert. Der Punktestand spiegelt daher vor allem wieder, wie vollständig die jeweilige Mission abgeschlossen wurde – viel Spielraum für eine Steigerung und damit einen Vergleich mit anderen Spielern bietet sich nicht, was jedoch aufgrund der nicht immer gleichen Gegenstands- und Gegnerplatzierungen nicht schlimm ist. Nach dem ersten Abschluss des Spiels sorgt also vor allem das Aufspüren der vier wichtigen Personen und damit das vollständige Komplettieren jeder Mission für Langzeitmotivation.

Die eingesetzten Luftaufnahmen entstammen verschiedenen Quellen und sind daher auch von unterschiedlicher Qualität. Holt man das Geschehen per Schultertaste nah heran, fällt oft die nicht allzu hohe Auflösung der Aufnahmen auf, was an die Satellitenbilder von Google Maps erinnert. Abgesehen von großen und markanten Gebäuden sind Details – auch aufgrund der Perspektive – nur schwer auszumachen. Ein gewisser Wiedererkennungswert ist jedoch fast immer vorhanden, außerdem wird auf zentrale Gebäude und Orte der jeweiligen Stadt per Texteinblendung hingewiesen. Die eigenwillige Mischung aus sehr einfacher 3D-Grafik und bedingt räumlichen Luftaufnahmen hat definitiv ihren Charme und macht das Spiel optisch interessanter als es nach rein technologischen Kriterien eigentlich ist. Hinzu kommt die typisch japanische Präsentation mit wild blinkenden, neonfarbenen Anzeigen und Menüs sowie Tönen, die an frühe Spielautomaten erinnern. Einzeln eingestreute Musikstücke, wie die von einem Männerchor gesummte Variation von Edvard Griegs 'In der Halle des Bergkönigs', die beim Ableben des Helden ertönt, tragen zur leicht bizarren und nicht nicht sehr ernsten Grundstimmung des Spiels bei. Hauptsächlich ertönt während der Missionen eine fröhliche, leicht elektronische Melodie, die durchaus Ohrwurmcharakter hat und immer wieder von panischen Schreien, aber auch von Jubel der geretteten Zivilisten sowie Gegrunze der Monster unterbrochen wird.

Sonys Japan-Studio ist hier ein überraschend eigenständiger Downloadtitel gelungen, der sich nicht mit einer übertrieben auffälligen Präsentation oder mit vermeintlich tiefgründigen Themen aufhält, sondern seine wenigen optischen und spielerischen Bestandteile so gekonnt einsetzt, dass es mit vergleichbar einfachen Mitteln fesselt. Das Spielprinzip ist nicht nur spannend, es gestaltet sich auch erstaunlich abwechslungsreich. Jede Mission verlangt nach einer eigenen Herangehensweise, die einzelnen Gegnertypen sind schön herausgearbeitet und sogar die individuelle Struktur jedes Schauplatzes beeinflusst den Missionsverlauf. Das Spielprinzip wird sehr transparent dargelegt und erlernt sich quasi im Vorbeigehen, da die Bedienung grundsätzlich intuitiv und nicht überladen ist. In einigen Situationen leidet leider die Übersicht ein wenig unter der quirligen Präsentation – vor allem, wenn die Hauptfigur im Gewusel kaum mehr zu erkennen ist oder an Ecken hängen bleibt und nur noch über das Wärmebild wiederzufinden ist. In hektischen Momenten wünscht man sich außerdem eine etwas direktere Kontrolle über den Bildausschnitt. Für echten Frust sorgt das aber meistens nicht – zu viele Möglichkeiten bieten sich dem Spieler zur Bewältigung jeder Situation und zu wenig festgelegt sind die Missionen gestaltet, als dass Ärger oder Langweile aufkommen. The Last Guy ist somit ein empfehlenswertes, kleines Spiel für alle, die mal etwas Anderes spielen wollen und sich auf die Präsentation einlassen können.

Filipp Münst