Retro Review
Coverscan
© Sony Computer Entertainment

Quest for Fame

Ende der 90er-Jahre schwappte eine Welle völlig neuartiger Spiele aus japanischen Spielhallen in die Wohnzimmer: Musik- und Tanzspiele, deren Besonderheit darin bestand, dass sie mit einem instrumentenförmigen Eingabegerät gespielt werden. Maßgeblich vorangetrieben wurde dieser Trend durch Konamis Musikspieleabteilung Bemani, wonach das Genre teilweise auch benannt wurde. Beatmania wird etwa mit einem Plattenteller und fünf Klaviertasten gespielt, Drum Mania auf Trommeln und Guitar Freaks sogar mit einer Plastikgitarre in realistischer Größe. Mit am populärsten war jedoch Dance Dance Revolution (in westlichen Gefilden 'Dancing Stage'), das mit Tanzmatten oder schweren Tanzplattformen gespielt wird, auf denen man sich im Takt hüpfend oder annähernd tanzend bewegt. Nicht alle dieser Spiele schafften es samt ihrer Eingabegeräte nach Europa und wenn, dann oft nur in abgespeckter Form – sowohl software- als auch hardwareseitig. Es half dem Genre zunächst auch wenig, dass so mancher Nachahmer ähnliche oder gar bessere Ideen hatte und diese auch in hiesigen Gefilden stärker vorantrieb. Allen voran Segas Samba de Amigo für Dreamcast, das mit zwei Rasseln ausgeliefert wurde, sowie Namcos Donkey Konga für Gamecube, bei dem Bongos zum Einsatz kamen. Das Genre war in Europa weiterhin eine Nische und vor allem in japanophilen Kreisen populär.

Neben diversen, zeitweise sehr populären Karaoke-Spielen sorgte schließlich 2005 Guitar Hero dafür, dass auch in den USA und Europa massenhaft Plastik-Gitarren vor Bildschirmen geschwungen wurden. Dieses Mal war die Musikauswahl am westlichen Geschmack ausgerichtet und umfasste zahlreiche Rock-Klassiker. Von diesem plattformübergreifenden Erfolg war jedoch 1995 noch nichts zu erahnen, als ein kleines Studio namens Virtual Music mit Quest for Fame ein Musikspiel mit Aerosmith-Songs für IBM-PC und Macintosh erschienen ließ. Dabei war es nicht einmal das erste Spiel der Entwickler, man experimentierte bereits zuvor mit dem sogenannten VPick, der nun auch bei Quest for Fame zum Einsatz kam. Es handelte sich dabei um ein Plektrum mit Kabel, das an den Druckeranschluss des Computers angeschlossen wurde. Obskurerweise muss das eigentliche 'Instrument' mitgebracht werden. Dies kann eine echte Gitarre sein, die Entwickler empfehlen jedoch einen Tennisschläger. Auch mit der 1997 erschienenen Playstation-Umsetzung, die ausschließlich in Japan erschien, wurde ein VPick mitgeliefert und in der Anleitung auf den Einsatz eines Tennisschlägers hingewiesen.

Das Spiel wurde originalgetreu vom Computer auf die Playstation umgesetzt, weshalb die Bedienung der Menüs etwas befremdlich anmutet. Man bewegt einen Mauszeiger mit einem handelsüblichen Playstation-Pad an Anschluss 1 über den Bildschirm und 'klickt' mit dem X-Knopf. An Anschluss 2 schließt man den VPick an, womit der Tennisschläger angeschlagen wird. Das Spiel ist rein rhythmisch aufgebaut, es geht also lediglich darum, korrekt im Takt zu spielen. Ähnlich wie in späteren Musikspielen werden die zu spielenden Noten vorgegeben. Am unteren Bildrand befindet sich das so gegannte 'Rhythm-EKG', das gelbe Spitzen nach oben zeigt, wann immer gespielt werden sollte, das tatsächliche Gitarrenspiel wird darunter mit blauen, nach unten zeigenden Spitzen aufgezeichnet. In der jeweiligen Geschwindigkeit des Songs bewegt sich ein roter Strich darüber hinweg, um anzuzeigen, wo man sich im Song gerade befindet. Da es sich beim VPick um einen vibrationsempfindlichen Controller handelt, muss der Tennisschläger nicht allzu stark berührt werden oder die Saiten gar gezupft werden. Vielmehr sollte gleichmäßig stark angeschlagen werden, damit jede einzelne Note registriert wird. Neben dem Rhythm-EKG befindet sich eine Punkteanzeige, die Werte zwischen 0 und 1000 annehmen kann, wobei nicht nur für gut getroffene Noten Pluspunkte vergeben werden, sondern auch Minuspunkte für verpasste oder falsch gespielte Noten. Für das Bestehen der meisten Herausforderungen im Spiel ist eine Punktzahl von mindestens 750 am Ende eines Songs vonnöten. Die Spitze des VPicks besteht aus dünnem, aber relativ stabilem Plastik und hält einige Sitzungen durch. Gerade übermäßiges Zupfen der Saiten sorgt aber durchaus für Abrieb und nutzt den Controller allmählich ab. Insgesamt funktioniert das Spielen trotz der auf den ersten Blick abenteuerlich anmutenden Vorstellung, mit einem verkabelten Plektrum auf einem Tennisspieler Gitarre zu spielen, erstaunlich gut. Manchmal gehen jedoch einzelne Noten unter, weil sie wegen zu geringer Vibration nicht registriert werden, obwohl sie physisch eindeutig gespielt wurden.

Quest for Fame ist gewissermaßen ein als Musikspiel verpacktes Abenteuerspiel. Es erzählt die etwas klischeehafte Geschichte eines Aerosmith-Fans in der fiktiven, amerikanischen Stadt West Feedback, auf dem Weg vom heimischen Jugendzimmer bis ins große Stadion. Zu Hause herumlümmelnd und vor der Stereoanlage alte Lieblingssongs nachspielend, schließt man sich einer Coverband an, die nebenan in einer Garage probt. Nicht alle Bandmitglieder sind gleichermaßen überzeugt, aber vor allem die Frontfrau und Sängerin ist angetan und lässt unter vier Augen wissen, dass sie vom nörgelnden Rhythmusgitarristen und Ersatzsänger auch nicht so viel hält. Verlaufen die Proben in der Garage gut, folgt bald eine Einladung in den berüchtigten Roadkill Grill. Dass die Band die bekannten Aerosmith-Songs etwas anders als üblich spielt, ist dort kein größeres Problem, aber sie rechnet nicht mit der örtlichen Motorrad-Autorität Evil Stu, der partout darauf besteht, dass Steppenwolf gespielt wird. Da die Band inklusive des Gitarristen 'Born to be wild' nie wirklich geprobt hat, findet man sich nach der verpatzten Aufführung in der zwielichtig-alptraumhaften Polyester Lounge wieder und schrammelt eine surreale Fahrstuhl-Version des Songs dahin, bis auch die letzten Gäste im Suff in ihren Tischen versunken sind. Zurück im heimischen Jugendzimmer solte man zur Vorbereitung auf den nächsten Auftritt tunlichst die Steppenwolf-CD hervorkramen.

All das findet nicht in einer Eröffnungssequenz oder in separaten Zwischensequenzen statt, sondern in der Spielgrafik und auch während der Songs. Die Hintergründe und manche Charaktere sind comichaft gezeichnet. Die meisten menschlichen Charaktere werden hingegen von Schauspielern oder eben den Bandmitgliedern von Aerosmith verkörpert und sind als digitalisierte Videosequenzen in die statischen Hintergründe eingesetzt. Diese seinerzeit recht populäre Art der Spielgrafik brachte oft recht uninspirierte Ergebnisse hervor. Nicht bei Quest for Fame: Hier sind die Hintergründe während der Songs umfangreich animiert und die Darsteller machen ihre Arbeit meistens gut. Kurze Lade- und Zugriffszeiten nehmen dem Spiel etwas an Dynamik, halten sich aber im Rahmen. Der Sprechanteil ist generell hoch und der gesamte Stil des Spiels ist sehr detailverliebt, so dass eine atmosphärische, glaubwürdige Spielwelt entsteht. Einen Beitrag dazu leistet auch die Tatsache, dass das Spiel aus der Ich-Perspektive erzählt wird und man von sämtlichen Charakteren direkt angesprochen wird. Besonders viel Spaß bereitet das im Falle der Aerosmith-Bandmitglieder.

Der Spielablauf ist nicht komplett vorgegeben und es ist meistens möglich, statt an der eigenen Karriere zu arbeiten und wichtige Männer des lokalen Showgeschäfts zu beindrucken, sich lieber zu Hause zu vergraben. Im Fernsehen läuft die Gameshow 'Nail that Riff' samt abgedrehtem Showmaster. Spielt man hier vorgegebene Riffs und Grooves korrekt nach, erhält man CDs mit neuen Songs, die nun ganz ohne Lampenfieber geübt werden können. Besteht die Band die nächste Herausforderung im Roadkill Grill, kann alles ganz schnell gehen. Tom Hamilton und Joey Kramer von Aerosmith sind dort auf Talentsuche und beobachten die Band von der Bar aus. Können die beiden überzeugt werden, wird man in den Late Night Blues Club mitgenommen, wo Gitarrist Brad Whitford und Sänger Steven Tyler warten. Der spontane Jam mit der Blues-Formation dort ist jedoch kein Kinderspiel: Der anspruchsvolle Frontmann ist erst bei einer Punktzahl von über 800 einigermaßen zufrieden, grinst dann aber umso breiter, wenn ihm klar wird, dass er jemanden auf seinem Niveau getroffen hat. Er ist gewissermaßen die letzte Hürde, um in direkten Kontakt mit Aerosmith zu treten, Studioaufnahmen durchzuführen und später als Bandmitglied im Stadion zu spielen. Natürlich kann auch weiterhin nicht immer alles glatt laufen und so findet man sich nach einer missglückten Sitzung im Tonstudio in einer Diavorführung wieder, die aufzeigen soll, welche Berufe noch so in Frage kämen. Quest for Fame ist deswegen mehr als nur ein Musikspiel, weil es neben der Geschichte auch liebenswürdige, schrullige Charaktere sowie eine große Portion augenzwinkerndem Humor aufweist, der sich sehr wohldosiert gegen die Abgründe der Musikindustrie richtet. Gerade für ein Spiel mit einer für die Zeit so großen Lizenz wie Aerosmith ist das nicht selbstverständlich und damit umso bemerkenswerter.

Die Songauswahl besteht aus den Aerosmith-Songs 'Eat the Rich', 'Shut up and Dance', 'Dude (Looks Like a Lady)', 'Livin' on the Edge', 'Love in an Elevator' und 'Walk on Water' sowie 'Born to be Wild' von Steppenwolf, 'What's Your Name' von Lynrd Skynrd und drei Blues-Stücken. Ironischerweise stellen gerade die beiden Rocksongs, die nicht von Aerosmith stammen, große Hürden in der ersten Hälfte des Spiels dar und müssen daher einige Male gespielt werden. Vor allem später im Spiel, wenn der Kontakt zu Aerosmith enger wird, sorgen einige Anspielungen für Schmunzeln. Das Spiel ist zweifelsfrei ein Produkt für Aerosmith-Fans, hat jedoch auch für alle anderen Musikinteressierten etwas zu bieten. Leider wurde der Ton stark komprimiert und ist daher von geringer Qualität, obwohl das Spiel auf zwei CDs verteilt ist. Generell nicht zu unterschätzen ist der Schwierigkeitsgrad. Zwar stellt das Spiel zu Beginn drei Schwierigkeitsgrade zur Auswahl, doch bereits auf dem mittleren davon sind einige Herausforderungen sehr schwierig und ohne gutes Rhythmusgefühl kaum schaffbar. Innerhalb des Spiels wird zudem für jeden Song zwischen den vier Stufen Basic, Rhythm, Lead und Stunt unterschieden, wobei eine Auswahl in der Regel nur zu Übungszwecken möglich ist und für viele Herausforderungen Rhythm oder Lead vorgegeben ist. Auf der Lead-Stufe müssen mitunter auch Soli oder Noten zwischen dem Takt gespielt werden, Stunt richtet sich an echte Könner – hier wurden die Noten teilweise von Aerosmith-Bandmitgliedern persönlich geschrieben. Diese höchste Stufe ist mit dem VPick umso schwieriger zu spielen, da viele Noten kurz aufeinander folgen und gerade solch filigrane Bewegungen teilweise nicht registriert werden. Aus diesem Grund existiert für die Computer-Version eine spezielle Plastikgitarre, auf der Playstation können jedoch allenfalls noch die Schultertasten zum Einsatz kommen.

Quest for Fame ist eine echte Obskurität, der man ihr Alter zwar anmerkt, die jedoch so liebevoll gemacht ist, dass Musikspiel-Fans auch heute noch viel Spaß damit haben können. Die Tatsache, dass es sich um ein westliches Computer-Spiel handelt, das samt Spezialcontroller ausschließlich in Japan auf die Playstation umgesetzt wurde, ist bemerkenswert. Musikspiele steckten erst in den Kinderschuhen und Quest for Fame merkt man diese Unsicherheit mit dem neuen Genre an. So ist es auch zu erklären, weshalb der Geschichte und den Charakteren so viel Platz im Spiel eingeräumt wird – zulasten der Musik, deren Auswahl zwar gelungen ist, die aber ruhig im Umfang größer sein könnte und die leider in eher minderwertiger Tonqualität vorliegt. Das Spiel verfügt neben der angezeigten Punktzahl weder über ein Bewertungssystem noch über eine Highscore-Tabelle. Doch gerade durch den Fokus auf die Geschichte mit ihren witzigen Charakteren und Texten wirkt das Spiel auch Jahrzente später trotz veralteter Spielgrafik samt Videosequenzen noch sehr lebendig. Der durch Einlegen der zweiten CD startende Open-Access-Modus erlaubt übrigens einen Sofortzugriff auf alle zehn Szenen – in abgespeckter und etwas einfacherer Form – und eignet sich gut für eine kleine Sitzung zwischendurch oder um das Spiel vorzuführen. Der VPick stellt eine an sich simple, aber gut funktionierende Möglichkeit dar, Gitarrenspiel zu simulieren. Einfache und mittelschwierige Songs zu spielen, macht damit sehr viel Spaß, aber leider frustriert die zu ungenaue Abfrage an den schwierigsten Stellen im Spiel mit vielen Noten kurz hintereinander. Das ist schade und hemmt die Langzeitmotivation – nichts desto trotz sollten alle mit einer Vorliebe für Musikspiele Quest for Fame samt VPick einmal in Aktion erlebt haben.

Filipp Münst