Retro Review
Coverscan
© Natsume

Wild Guns

Videospiele mit Wildwest-Szenario stellen eine eher seltene Spezies dar, was insofern verwunderlich ist, da entsprechende Filme im Überfluss verfügbar sind. Obskurerweise stammt mit Wild Guns auch noch eine der allerbesten Wildwest-Ballereien aus Japan – angereichert allerdings mit allerlei Robotern und riesigem Kriegsgerät. Dabei bediente sich Entwickler Natsume eines in der Videospielelandschaft eher unterrepräsentieren Genres. Wie im Spielhallen-Klassiker Cabal steuert man ein Fadenkreuz über den Bildschirm, um massenhaft Gegner ins Visier zu nehmen, gleichzeitig übernimmt man jedoch auch die Obhut über den ballernden Cowboy (oder wahlweise das Cowgirl), der im Vordergrund herumturnt und den es an den zahlreichen gegnerischen Projektilen vorbeizumanövern gilt.

Der Clou dabei ist, dass die Protagonisten Clint und Annie nur schießen können, wenn sie stillstehen. Das mündet in einen ständigen, adrenalinfördernden Wechsel zwischen Dauerfeuer und schnellem Ausweichen, wobei letzteres so spät wie möglich erfolgen sollte, um das Maximum an Schüssen in die Antagonisten zu pumpen. Hierfür bedienen sich Clint und Annie der namensgebenden Schießeisen, die mit Schrotflinte, Granatenwerfer und Maschinengewehr nicht allzu außergewöhnlich ausfallen. Diese Waffen wollen eingesammelt werden und ersetzen für eine bestimmte Anzahl an Schüssen den unendlich verfügbaren und gar nicht üblen Standard-Schuss. Die erbsenballernde P-Gun sollte dagegen lieber nicht eingesammelt werden, da Clint und Annie damit nicht einmal die unbeweglichste Kuh überwältigen werden. Das Prädikat 'Wild Gun' verdient allenfalls die mächtige Overdrive-Waffe. Diese steht erst dann zur Verfügung, wenn der Balken am unteren Bildrand durch schnelle Kombinationen gefüllt wird und verabschiedet sich auch nach wenigen Sekunden wieder aus den Händen der Protagonisten.

Während sich die Waffenauswahl eher konservativ präsentiert, finden sich unter den gegnerischen Horden allerlei 'wilde' Gestalten. Natsume haben das Wildwest-Szenario gekonnt ausgestaltet, mit gängigen Schauplätzen wie einer Goldmiene, einer Canyonlandschaft oder einem Waffendepot, geschmückt mit schönen Details wie zerstörbaren Tischen oder Whiskeyflaschen im Saloon. Die Hintergrundmusik begeistert mit gepfiffenen Melodien, die jedem Spaghettiwestern gut zu Gesicht stünden. Unter den Antagonisten befinden sich aber auch allerlei Roboter mit Cowboyhut und wehender Lederweste, die sich nach erfolgreicher Zerstörung mit einer krachenden Explosion buchstäblich in ihre Einzelteile auflösen. Hinzu kommen blinkende Leuchtreklamen an den Saloons, Jetpacks und Wüstenbuggys, in denen Mad Max höchstpersönlich sitzen könnte. Dieser Mix aus Wildwest und Sci-Fi mag auf den ersten Blick befremdlich wirken, wurde aber konsequent und optisch nicht unansprechend umgesetzt. Das Spiel nimmt sich zu keiner Zeit ernst und versprüht dadurch einen ganz eigenen Charme.

Die sechs Abschnitte laufen alle nach dem gleichen Schema ab. Zunächst wollen mehrere Szenen mit jeweils wechselnden Hintergründen abgeschlossen werden, ehe es den (meist kolossal großen) Bossgegnern an den Kragen geht. Im Gegensatz zum Vorbild Cabal gilt es hier nicht, in jedem Abschnitt jeden Gegner zu eliminieren, um voranzuschreiten, vielmehr nähert sich ein Countdown am unteren Bildrand kontinuierlich null, ehe alle dann noch verbleibenden Gegner das zeitliche segnen und entweder ein Zwischenboss auftritt oder direkt der nächste Abschnitt folgt. Den Zähler kann man mit einer Zeitbegrenzung gleichsetzen, jedoch zählt er schneller herunter, wenn Gegner abgeschossen werden. Die Bosse sind allesamt abwechslungsreich gestaltet, sowohl grafisch als auch in Bezug auf ihr Angriffsverhalten. Dagegen werden die Zwischenbosse im Laufe des Spiels wiederholt, was aber nicht weiter negativ auffällt, da man viel zu beschäftigt damit ist, den zahlreichen umherfliegenden Projektilen und Explosionen auszuweichen.

Was Wild Guns von anderen Titeln des Genres abhebt, ist der große Abwechslungsreichtum, sowohl spielerisch als auch in der Gestaltung der Szenarien. Jeder Abschnitt wirkt sehr eigen und das jeweilige Thema perfekt umgesetzt mit zahlreichen Schildern, Schriftzügen und zerstörbaren Nebenobjekten wie Fensterscheiben, Lkw oder Jukeboxen. Ab und an tauchen Gegner direkt im Vordergrund auf und wollen Clint oder Annie mit einem Messer ans Leder. In diesem Fall gilt es, sich den Schurken zu nähern und ihnen mit einer Nahkampfattacke eins über die Mütze zu ziehen. Hinzu kommen Gegner, die Dynamitstangen in den Vordergrund werfen, denen man zwar bequem ausweichen kann, da sie erst nach ein paar Sekunden detonieren – draufgängerische Naturen können die explosiven Präsente jedoch auch greifen und nach dem Motto 'zurück zum Absender' wieder in die Szenerie werfen. Mit einem Lasso können Gegner kurzzeitig ungeweglich gemacht werden, was speziell bei Zwischen- und Endbossen hilfreich sein kann, auch wenn diese Angriffsart etwas umständlich auszuführen ist (dreimaliges Drücken des Schuss-Knopfs). Ein spielerisch extrem nützliches und keineswegs nur optisches Detail sind die fadenkreuzartigen Markierungen, die zeigen, wo in Kürze ein gegnerischer Schuss landen wird. Gepaart mit der witzigen 'Look Out!'-Sprechblase bei herannahenden Projektilen und Dynamitstangen können so zahlreiche Tode durch geziehltes Ausweichen in letzter Sekunde vermieden werden.

Neben dem Hauptspiel wurden Wild Guns zwei überaus gelungene Mehrspieler-Modi spendiert. Im Versus geht es darum, in drei Schießbuden-Szenen (die im Hauptspiel als Bonusszenen dienen) mehr Pappkameraden, Felsen oder Fässer abzuschießen als der menschliche oder wahlweise computergesteuerte Kontrahent. Der andere Modus lässt zwei Pistoleros die sechs Abschnitte gemeinsam mit den beiden Charakteren durchspielen, die sich geringfügig unterscheiden, indem Clint etwas weiter hechten (B+Y), dafür nicht so hoch hüpfen (B) kann als Annie. Dieser Unterschied mag zunächst vernachlässigbar erschienen, kann mit etwas Übung aber durchaus eine Präferenz für Clint oder Annie bdeuten, da dies die beiden Techniken sind, gegnerischen Projektilen auszuweichen. Annies etwas höherer Sprung kann – gepaart mit einem Doppelsprung – zu deutlich großräumigeren Ausweichaktionen genutzt werden. Allerdings ist sie, ebenso wie Clint, bei Sprüngen verwundbar, während der Hechter einen kurzen Moment des Durchatmens in Form von Unverwundbarkeit darstellt.

Abschließend lässt sich festhalten, dass Natsume mit Wild Guns ein einwandfrei spielbares Baller-Spektakel mit hervorragender Präsentation gelungen ist. Es mag Spiele mit mehr Objekten gleichzeitig auf dem Bildschirm geben und auch der Detailreichtum der einzelnen Sprites ist nicht immens hoch (was aber wiederum den comighaften Eindruck sehr schön unterstreicht). Dafür kracht und scheppert es an allen Ecken und Enden, Hitzeeffekte nach besonders großen Explosionen, heranzoomende Gegner im Minenabschnitt und nicht zuletzt die stabile Bildrate lassen das Spiel in Bewegung deutlich imposanter erscheinen als auf Standbildern. Der Schwierigkeitsgrad bewegt sich derweil trotz der effektiven Bomben auf einem konstant hohen Niveau und so ist es keine Schande, für die ersten Anläufe auf den leichten Schwierigkeitsgrad umzuschalten. Fair bleibt das Spiel jederzeit und dank der schönen Lernkurve ist für Langzeitmotivation auf den drei Schwierigkeitsgraden über viele Durchgänge hinweg bestens gesorgt.

Filipp Münst