Retro Review
Coverscan
© Capcom

Street Fighter Zero 3

Rückblickend könnte alleine das schiere Überangebot an Titeln dazu geführt haben, dass das Genre der 2D-Prügelspiele um die Jahrtausendwende an Bedeutung verlor. Nach einer gewissen Durststrecke feiern heute wieder Serien wie Street Fighter, The King of Fighters und Guilty Gear Erfolge, diesmal jedoch hochauflösend und in wesentlichem Umfang online. Mit dem Neo Geo war am Ende eine ganze Plattform abhängig von diesem Genre und SNK flutete den Markt mit teilweise jährlich neuen, nicht immer ausgereiften Inkarnationen seiner Prügelspiel-Serien. Auch Capcom fuhr allein mit Street Fighter zeitweise dreigleisig: Neben Street Fighter Zero (in Nordamerika und Europa 'Street Fighter Alpha') sollten mit Street Fighter EX eine dreidimensionale sowie mit Street Fighter III eine neue spritebasierte Serie etabliert werden. Hinzu kommen die mit X-Men: Children of the Atom initiierte Marvel-Reihe, die Vampire/Darkstalkers-Reihe, Cyberbots: FullMetal Madness, Pocket Fighter, diverse VS-Spiele und die Prügelspiel-Adaption des Animes JoJo's Bizarre Adventure. In diesem Veröffentlichungswahn, mit dem weder die Spielhallen noch der Konsolenmarkt Schritt halten konnten, spielte Street Fighter Zero 3 eine interessante Rolle, indem es schnell an Popularität gewann, obwohl es auf dem Papier wieder nur ein weiterer Nachfolger einer zu diesem Zeitpunkt alten Serie war.

Als Street Fighter Zero 3 auf der altehrwürdigen CPS-2-Plattform in die Spielhalle kam, umfasste das CPS-3-basierte Street Fighter III bereits zwei Serienteile. Aufgrund des größeren Arbeitsspeichers des CPS-3 war der Detailreichtum der Animationen dieser Spiele ungeahnt hoch und auch spielerisch waren Street Fighter III: New Generation und Street Fighter III: 2nd Impact recht ausgereift sowie mit dem Parry-System neuartig genug, um sich als eigene Serie zu behaupten. Allerdings erwies sich die weiterhin niedrige Auflösung mit Fokus auf Spritegrafik als Hindernis und nicht zuletzt das nahezu komplett ausgetauschte Kämpferfeld verschreckte Serienfans. Noch vor der dritten Inkarnation Street Fighter III: 3rd Strike erinnerte man sich offensichtlich daran, dass Street Fighter Zero 2 immer noch sehr populär war und brachte nochmal einen Nachfolger dafür auf den Markt, der in vielerlei Hinsicht die alte Street-Fighter-Zeit verkörperte, ohne althergebracht zu wirken.

Auf den ersten Blick sichtbar wird dies vor allem anhand der riesigen Anzahl von 35 Charakteren – fast doppelt so viele im Vergleich zum Vorgänger, wobei drei davon Variationen von bestehenden Kämpfern sind und erst freigeschaltet werden wollen. Inzwischen liebgewonnene Zero/Alpha-Charaktere wie Gen, Rose, Adon, Sakura, Birdie und Charlie Nash treffen auf alte Haudegen wie Ryu, Ken, Chun-Li, Gouki/Akuma, Blanka, Zangief, Sagat und Dhalsim oder die aus Final Fight bekannten Recken Guy, Rolento und Sodom. Gänzlich neu (und teilweise in späteren Spielen nicht mehr wieder gesehen) sind Sakuras Konkurrentin Karin, Wrestlerin R. Mika, Cody aus Final Fight – in Gestalt eines Steine werfenden Ex-Häftlings – sowie das deutsche Assassinen-Duo Juni und Juli. Exklusiv in der Heimumsetzung kehren außerdem E. Honda, Dee Jay, Fei-Long, Guile, T. Hawk, Cammy, der spanische Krallen-Kämpfer Balrog/Vega sowie Boxer M. Bison/Balrog zurück, womit nun sämtliche aus Super Street Fighter II bekannten Gesichter vertreten sind. Die Sprites und Animationen dieser neuen, alten Charaktere sind im Vergleich zu den anderen nicht ganz so detailliert – gerade im Gegensatz zu den körperlich 'größeren' davon fallen sie in puncto Detailreichtung ab –, jedoch wurden sie stilistisch an den comichaften Look der Zero/Alpha-Serie angepasst und wirken keineswegs deplatziert.

Die größte spielerische Neuerung im Gegensatz zum Vorgänger stellt die Auswahl zwischen drei 'ISM' genannten Kampfsystemen dar, die für jeden Charakter und jeden Kampf einzeln vorgenommen werden kann. Im Prinzip wurden hier die Super Combos, die nur mit aufgeladener Leiste und nach Eingabe einer langen Tastenkombination vollführt werden können, und die Original Combos, womit beliebige Aktionen miteinander verbunden werden können, voneinander getrennt. Im V-ISM sind nur Original Combos möglich, außerdem bewirken normale Schläge und Tritte in diesem Modus den geringsten Schaden. Die Leiste für Original Combos ist sehr schnell aufgeladen, es sollte also reichlich Gebrauch davon gemacht werden. Bei Aktivieren bildet sich der aus den Vorgängern bekannte, blaue Schatten hinter dem Charakter und sämtliche Bewegungen lassen sich viel besser zu einer langen Kombination verknüpfen. Auch Spezialangriffe wie Hadouken oder Shoryuken lassen sich in eine Original Combo miteinbringen. Im Kontrast dazu stellt der Z-ISM das Standard-Kampfsystem dar. Hier sind für jeden Charakter bei aufgeladener Leiste mehrere Super Combos möglich, außerdem bewirken normale Angriffe größeren Schaden als im V-ISM. Eine neue, alte Variante stellt schließlich der X-ISM dar, der eher dem Kampfsystem von Super Street Fighter II X/Turbo ähnelt. Hier sind einige Manöver, die typisch für die Zero/Alpha-Serie sind, nicht möglich, etwa Blocken in der Luft oder die direkte Erholung von Angriffen in der Luft ('Air Recovery'), weshalb Charaktere mit X-ISM eher seltener aus der Luft angreifen sollten. Im X-ISM ist lediglich eine Super Combo verfügbar und die Leiste dafür lädt sich langsamer auf. Dafür hält sich im X-ISM die Leiste für das Durchbrechen der Deckung am längsten. Außerdem sind normale Angriffe hier am stärksten, während der Schaden für eingesteckte Treffer gleichzeitig am größten ist. Generell stehen jedem Charakter je nach gewähltem ISM unterschiedliche Schläge, Tritte, Spezialangriffe und weitere Manöver zur Verfügung, wobei das Aktionsrepertoire im X-ISM insgesamt am eingeschränktesten ist.

Angesichts dieser Fülle an Variationsmöglichkeiten – insbesondere in Kombination mit der enormen Anzahl von über 30 Charakteren – könnte der Eindruck entstehen, ein Prügelspiel vorliegen zu haben, bei dem es für jeden Charakter und auf jeden Spezialangriff eine passende Gegenantwort gibt. Dem ist leider nicht so, denn bestimmte Charaktere sind in bestimmten ISMs sehr stark, manche sind in einem oder zwei ISMs kaum konkurrenzfähig. Anstelle einer Balance zwischen den Kämpfern setzte Capcom eher auf das Prinzip größtmöglichen Umfangs, denn die schiere Masse an Wahlmöglichkeiten führt dazu, dass man nur mit einiger Übung einen speziellen Charakter in Kombination mit einem der drei ISMs wirklich meistert, so dass Schwächen in der Spielbalance erst mit einer gewissen Spielerfahrung auffallen. An manchen Stellen mag Capcom auch generell übertrieben zu haben, da das Kampfsystem extrem viele Möglichkeiten bietet, Angriffen auszuweichen, sie zu kontern oder den Gegner zu verwirren. Anstelle eines Prinzips Schere-Stein-Papier, das es erlaubt, eine bestimmte Aktion mit einer anderen zu kontern, diese aber wiederum einer dritten unterliegt, findet man hier eher fünf Scheren, zehn Steine und ein Stapel Papier vor.

Gleichzeitig ist Street Fighter Zero 3 ein extrem vielseitiges Prügelspiel. Anhänger der alten Schule können ausschließlich im X-ISM spielen und erhalten so mehr oder weniger ein neues Street Fighter II. Einen Charakter sehr genau kennenzulernen und in unterschiedlichen ISMs auszuprobieren kann sehr motivierend sein, erst recht, wenn man sich auf die komplexeren Manöver, etwa Zero Counter oder Original Combo, einlässt. Der Langzeitmotivation ebenfalls enorm zuträglich ist der im Gegensatz zur Spielhallenversion neue World-Tour-Modus, wo nacheinander Aufgaben erfüllt werden wollen, um den Charakteren Fähigkeiten zu verschaffen, die sie sonst nicht besitzen. Teilweise müssen in bestimmten Szenarien mehrere Gegner hintereinander ausgeschaltet werden, ein anderes Mal können Kämpfe nur mit bestimmten Angriffen, etwa einer Super Combo oder einer Original Combo beendet werden. Der in der World Tour hochgezüchtete Charakter kann auch in die anderen Modi importiert werden. Freizuspielen gibt es obendrein Optionen, mit denen entweder sämtliche Schläge sehr wenig oder sehr viel Schaden anrichten sowie einen Modus, der zusätzlich zu den üblichen Einschränkungen des X-ISMs sämtliche Eingenheiten des Zero/Alpha-Kampfsystems entfernt, inklusive der Leiste für Super Combos, sich also wirklich wie einer der frühen Teile von Street Fighter II spielt.

Für Capcom-Prügelspiele stellte sich schon öfter heraus, dass sie auch auf Systemen sehr gut umgesetzt wurden, von denen man es ursprünglich nicht vermutet hatte. Street Fighter II für SNES/SFC war ein Paukenschlag, Street Fighter II' Champion Edition für PC Engine ein fast noch größerer. Auch wesentlich herunterskalierte Versionen wie Street Fighter Zero 2 für SNES/SFC, Street Fighter Zero für Gameboy Color oder Street Fighter Zero 3 für Gameboy Advance dürfen als beeindruckend bezeichnet werden. Die vorliegende Playstation-Umsetzung reiht sich hier nahtlos ein und räumt die schlimmsten Befürchtungen aus, die Serienfans hegten, als bekannt wurde, dass das Spiel zunächst exklusiv für Sonys Konsole portiert werden sollte. Anstatt Sprites werden flache Polygonfiguren verwendet, ähnlich wie später in Guilty Gear Xrd. Der etwas verjüngende Comic-Ansatz ist gelungen, ebenso wie die Animationen, auch wenn diese keine Konkurrenz zu jenen in Street Fighter III: 3rd Strike darstellen. Bei der Umsetzung wurden aufgrund des knappen Grafikspeichers der Playstation einige Animationen gegen ältere aus Street Fighter Zero 2 getauscht oder gänzlich gestrichen – beim Kampf zweier gleicher Charaktere gegeneinander sind sie jedoch wiederhergestellt. Dafür werden auf der Sony-Konsole echte Transparenzeffekte eingesetzt. Die Hintergründe sind zumeist sehr farbenfroh, kommen aber wesentlich knalliger daher als noch im Vorgänger. Speziell Gens dunkler Hinterhof mit seinen Reflexionen in den Pfützen wird vermisst. Auch die Hintergrundmusik wurde gänzlich neu komponiert und ist nun sehr elektronisch, ohne auch nur eine der altbekannten Melodien in irgendeiner Weise zu reproduzieren. Damit wirkt das Spiel bisweilen etwas hektisch, was jedoch dem Kampfsystem in gewissem Maße ganz gut entspricht. Ebenfalls völlig neu ist die gesamte Bedienoberfläche, die auch heute noch modern wirkt, inklusive einem der aufgeregtesten Ansager überhaupt. Insgesamt ist Street Fighter Zero 3 technisch sehr gelungen, speziell, wenn man in Betracht zieht, dass es sich um ein CPS-2-Spiel handelt, das für die Playstation umgesetzt wurde. Hier wurde mit ein paar klugen Tricks alles aus der Plattform herausgeholt, was möglich war.

Street Fighter Zero 3 holt alle an einen Tisch und ist auch viele Jahre nach Erscheinen eines der Capcom-Prügelspiele, die Liebhaber des Genres unbedingt besitzen sollten. Via X-ISM lässt es sich mit einem eingeschränkten Kampfsystem loslegen wie früher, während im V-ISM immer neue Original Combos entwickelt werden können. Der World-Tour-Modus ist ein Musterbeispiel dafür, ein Prügelspiel auch alleine und ohne Wettkampfambitionen längerfristig zu spielen. Die mangelnde Spielbalance und der massive Umfang können allerdings Überforderung bewirken. Das Spiel ist eher eine riesige, bisweilen chaotische Spielwiese, auf der sich Fans so richtig austoben können. Das Kampfsystem ist schnell und macht Spaß, ohne allzu unzugänglich daherzukommen. Gleichzeitig stellt das Spiel so ziemlich alle Charaktere zur Auswahl, die sich Serienkenner nur wünschen können und hebt sich damit positiv von der Radikalkur eines Street Fighter III ab. Durch die Vielfalt an Angriffen und Spezialmanövern kommt man immer wieder zu diesem Spiel zurück, denn irgendwo in den Tiefen von Street Fighter Zero 3 findet sich immer noch etwas, was man noch nicht gesehen oder ausprobiert hat.

Filipp Münst